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Kultur bestimmt das Leben

  • Autorenbild: cielo
    cielo
  • 17. Feb. 2019
  • 6 Min. Lesezeit

Als ich am Montagmorgen (11.02.19) im College saß und Zeit zum Nachdenken und Reflektieren hatte, realisierte ich plötzlich etwas. Diesem war ich mir vorher schon bewusst, aber in diesem Moment schien es mir, als wäre dieser Gedanke, das, was ich soeben realisiert hatte, auf etwas geprallt. Mir fiel die Kinnlade runter. Es hat klick gemacht. Die Stimme in meinem Kopf war lauter denn je: Ich kann machen, was ich will. ICH KANN TUN UND LASSEN WAS ICH MÖCHTE. Ehe ich es realisierte, hörte ich mich – zusammenhangslos - zu Chiara sagen: „Wir können machen, was wir wollen.“ Dabei meinte ich nicht, dass wir das in Indien tun können, wobei uns unsere Mentalität und vielleicht auch – eher ziemlich sicher - unsere Hautfarbe mehr Freiheiten und Eigenständigkeit verschafft. Ich meinte unser Leben in Deutschland. Allgemein das Leben in der „Westlichen“ Kultur. Und diese Eingebung traf mich in diesem Moment aus irgendeinem Grund sehr heftig.

Unsere Kultur schränkt uns nicht ein! Diese Freiheit ist so normal, dass wir uns manchmal von Gesetzen eingeschränkt fühlen, die eigentlich zu unserem Schutz gedacht sind oder man fühlt sich von seinen Eltern eingeschränkt, wenn man mal nicht weg gehen durfte bzw. früher als manch andrer zu Hause sein musste. Es ist so normal, dass man nicht einmal über diese Freiheit nachdenkt und wenn man von anderen Kulturen hört(!) , wie zum Beispiel der indischen, in der die arrangierte Ehe Normalität ist, denkt man vielleicht: „Oh hab ich ein Glück, das muss schrecklich sein, einfach so mit einer fremden Person verheiratet zu werden!“. Vielleicht empfindet man Wut oder verspürt den Drang etwas ändern zu wollen… aber WIE? - Und dann, dann holt einen im nächsten Moment die Gegenwart wieder ein und man denkt nicht mehr darüber nach.

Und dann sitzt man mitten drin. Ich sitze (plötzlich) mitten drin in dieser Kultur, höre nicht mehr nur von ihr, sondern erfahre jeden Tag das Leben, so, wie es hier eben ist. Für Frauen und für Männer, für Kinder, für jeden einzelnen, egal aus welcher Gesellschaftsschicht er oder sie kommt. Besonders beschäftigt mich aber das Schicksal der indischen Mädchen.

Gerade an diesem Tag (Montag) hatten Chiara und ich für unseren Englischunterricht am College einen Kulturaustausch vorbereitet. Hierbei wollten wir unbedingt das Thema Liebe, Beziehungen, Ehe etc. aufgreifen, da uns vorher aufgefallen war, dass die meisten Frauen und Mädchen überhaupt nicht wissen, dass Liebesehen auf dem Großteil der Welt (zumindest annähernd die Hälfte) normal sind und arrangierte Ehen oft nicht mehr gestattet sind. Zufälligerweise passte dieser Austausch zu meinem Gedanken vom Morgen wie Faust aufs Auge.

Ich schrieb Stichpunkte an die Tafel und erzählte den jungen Frauen, die teilweise schon verheiratet sind, anschließend die Fakten darüber.

Nochmal zur Erinnerung für euch, die wesentlichen Punkte der westlichen Kultur im Bereich Beziehungen und Ehe:

  • es gibt nur Liebesheirat, arrangierte Ehen sind verboten

→ es ist unsere EIGENE Entscheidung wen und wann wir heiraten

→ beide Ehepartner müssen mit der Ehe einverstanden sein

  • wenn man nicht heiraten möchte, lässt man es

→ in einer Beziehung Leben ist trotzdem möglich

  • Durchschnittsalter: 25 bis 30

→ grundsätzlich ist das Alter egal!!!!

  • Eltern: geben Ratschläge, keine Anweisungen

Unterstützung, (meist) sehr gute Beziehung

  • Trennung/ Scheidung möglich und akzeptiert (von der Gesellschaft)

→ danach kann eine neue Beziehung eingegangen werden (auch nach dem Tod des Ehepartners)


  • Beziehungen:

1) Es existiert Freundschaft zwischen Jungen und Mädchen/ Frauen und Männern (auch sehr enge Verhältnisse)

2) Als Teenager kann man eine/n feste/n Freund/in haben, wenn man sich ent-liebt aber auch wieder mit anderen zusammenkommen

→ Beziehung(en) vor der Ehe

3) oft wohnt man vor der Ehe schon zusammen


UNSER LEBEN: UNSERE EIGENEN ENTSCHEIDUNGEN ! (Nicht die unserer Eltern)


Die Reaktion? Unterschiedlich. Viel Gekicher aber vor allem Erstaunen. Als ich unsere Schülerinnen schließlich dazu aufforderte uns von ihrer „Ehekultur“ zu erzählen, kam zunächst nur eins zurück: „India is the complete opposite!“ - Das komplette Gegenteil. Tatsächlich… die einzige Gemeinsamkeit, die wir fanden war, dass das Mindestalter bei 18 Jahren liegt. Allerdings nur für Frauen, Männer dürfen, dem Gesetz nach, erst mit 21 heiraten. (→ ????!!!)

Arrangierte Ehen sind hier die Normalität und falls eine Liebesheirat infrage kommt, liegt es an den Eltern diese zu erlauben. Das ist allerdings äußerst ungewöhnlich, trotzdem hat es mich gefreut zu hören, dass es wohl immer Häufiger vorkommt (immer noch in der Unterzahl!!). Trotzdem ist es in keinem Fall erlaubt, mehr als einen Freund und dann Mann zu haben, geschweige denn, als Witwe nochmals eine Beziehung oder Ehe einzugehen. Anzumerken ist hierbei, dass Männer sehr wohl eine weitere Ehe, nach der Trennung oder dem Tod der Ehefrau, führen dürfen.

Frauen werden durchschnittlich im Alter von 18 bis 23 Jahren verheiratet, Männer sind 27 bis 30.

Circa zwei Monate vor der Eheschließung werden Braut und Bräutigam darüber informiert, dass sie heiraten wird. Es werden meist nur Bilder des zukünftigen gezeigt, mit sehr viel Glück, lernt sich das Ehepaar-in-spe vorher kennen. Ansonsten treffen Braut und Bräutigam erstmals am Tag der Verlobung aufeinander, die einen Tag vor der Hochzeit stattfindet.


[Cielo is very beautiful and chiara is very beautiful. - Atchaya (11), hat mich unterbrochen. Als sie auf meinem Schoß saß, wollte sie auch mal etwas tippen! Ich will es nicht löschen - der Alltag :) ]

Nach der Hochzeit zieht die Frau ins Haus ihres Mannes und seiner Familie. Sie wird Hausfrau. Und falls der Mann ihr erlaubt studieren oder arbeiten zu gehen, muss der Haushalt trotzdem von ihr erledigt werden.

Heiraten ist ein Geschäft! Es geht nur um Geld.“, wurde mir mehr als ein Mal gesagt.

Ja das klingt heftig, wenn man ein anderes Leben kennt! Aber als wir die Schülerinnen fragten, welche Form der Ehe sie bevorzugen, antwortete mehr als die Hälfte mit: „arranged marriage!“

Der Grund dafür: Die Eltern. Sie wollen ihre Eltern nicht enttäuschen.

Ich glaube aber, mehr hinter dieser Antwort zu sehen. Druck, Angst, Unwissenheit!

Was ich vorher beobachtet hatte, woraus ein Bild der Frauenrolle in Indien für mich entstand, hat sich nur bestätigt. Frauen sind abhängig. Sie sind ihr ganzes Leben lang von jemandem abhängig! Erst sind es die Eltern, dann ihr Mann und dessen Familie. Für mich ein unvorstellbarer Gedanke. Was mich an dieser Stelle immer traurig macht ist, dass ich Perspektivlosigkeit sehe. Diese Mädchen haben Träume, kleine Träume. Sie träumen davon, nach dem Studium arbeiten zu dürfen. Das entscheidet jedoch der Ehemann und dessen sind sie sich von klein auf bewusst.

Wenn ich diese Mädchen und Frauen sehe – und manchmal sehe ich zwei Seiten: die gleiche Frau wenn ein Mann dabei ist und wenn kein Mann dabei ist – wie unterwürfig sie sind. Wie erdrückt sie scheinen. Was sie ausstrahlen und wie sie sich verhalten. Für mich herzzerreißend! Weil ich keine Perspektive für sie sehe. Weil es hier einfach so ist! Und da stoße ich an meine Grenzen… an die Grenze etwas tun zu können, um sie von diesem „Schicksal“ zu befreien. Dann kommt allerdings die Frage auf, inwieweit es eine Befreiung wäre, diese Frau von ihrer Familie zu reißen, damit sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen kann.

Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass es eine wäre. Ich glaube, sie sind glücklicher mit dem Leben, dass ihre Eltern für sie aussuchen, mit einem Mann den sie oft nicht lieben, oder der sie gar schlecht behandelt. Mit einem Leben, das sie nur zum Nutzen anderer leben. Denn würden sie sich gegen ihre Familie stellen, hätten sie niemanden und nichts mehr. Sie wären von der Gesellschaft ausgestoßen und müssten in Armut leben und/oder sich sogar in Lebensgefahr begeben.

Und das erschreckendste an der ganzen Sache: diese jungen Frauen haben keine eigene Meinung. So schlimm es klingt, selbst denken gibt es nicht. Ich würde nicht sagen, dass es das ganze Leben so ist, Kinder sind hier so quirlig wie „bei uns“ auch, aber umso älter ein Mädchen wird, umso ruhiger und anpassender (unterwerfender) wird es. Dass das eigenständige denken fehlt, ist Chiara und mir erst so richtig im College aufgefallen. Als die einzig richtige Antwort auf die Frage, welche Form der Ehe sie bevorzugen würden, die Meinung der Eltern zu sein schien. Wir hatten nicht erwartet, dass alle die Liebesheirat besser finden, allerdings hatten wir uns andere Antworten auf die Rückfrage „Wieso?“ erhofft. Nicht einmal als wir ihnen sagten, sie sollen sich vorstellen, sie wären in Deutschland, mit deutschen Ansichten und deutschen Eltern, die alles akzeptieren, geboren, kam eine andere Antwort als: „ich möchte meine Eltern nicht enttäuschen“.

  - Und das lasse ich jetzt einfach so stehen.



Unsere Kultur schränkt uns nicht ein!

Wir können tun was wir wollen. Wir sind unabhängig, wir sind FREI! Wir können anziehen, sehen wen und was wir wollen. Wir können hingehen wo wir wollen, wann wir wollen, wie wir wollen, mit wem wir wollen! Wir können ALLES tun.

Wir führen unser eigenes Leben. Für UNS.

Wir treffen unsere EIGENEN Entscheidungen, haben eine eigene Meinung, die gehört wird.

Wir haben Perspektiven! Kein Traum ist zu groß. Wirklich nicht. Wir werden wenn dann damit konfrontiert, dass das nur die Wenigsten schaffen. Aber es IST möglich. Und dann bin ich hier in Indien. Hier wird nicht einmal soweit gedacht. Zumindest oder erst recht nicht als Frau.

2 comentários


Tati
17 de fev. de 2019

Liebe Cielo, vielen Dank für Deinen neuen Beitrag.

Da hast Du sicherlich recht, wir können alles machen und unterliegen nur wenigen Zwängen. Oftmals sind es Grenzen, die wir uns selbst setzen, anstatt zu versuchen.

Nicht nur was Beziehungen betrifft.

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Adriana Candiago
Adriana Candiago
17 de fev. de 2019

Qué bueno, mi chiquita, que puedas ver lo rica que eres! La libertad, el respeto y el amor al prógimo, son la riqueza más grande! te amo tanto mi Kikina!!!!

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My name is Cielo. I am volunteering for three months in India and travelling through South America.

 

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