Vom Alltag und was vermissen heißt
- cielo
- 10. Feb. 2019
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Feb. 2019
- UND EIN BISSCHEN ÜBER'S G L Ü C K(-LICHSEIN) -
Ich sitze auf dem Boden, den Teller auf meinem Schoß und esse mit meiner rechten Hand - nur mit der Hand, die linke gilt hier als unrein. Schuhe trage ich eigentlich nur außer Haus, an meinen Knöcheln klimpert ein Paar „goluse“, also traditionelle Fußketten mit Glöckchen, aus Silber.
* Unterbrechung: während ich schreibe tobt die kleine Anjali laut lachend mit einer Yoga-Matte durch unser Zimmer und unterhält sich mit mir auf Tamil… wenn ich nur ein Wort verstehen könnte! *
Essen: Gegessen wird immer auf dem gleichen Teller, der direkt danach abgespült wird. Meistens esse ich drei mal am Tag Reis, in verschiedenen Variationen. Trotzdem hat man schnell genug davon… aber ich möchte mich nicht beschweren. Die Gerichte schmecken sehr gut!
Wenn ich mich im laufe des Tages mal an der Nase kratze (mit rechts), rieche ich meine letzte Mahlzeit :)
Abends waschen wir zusammen mit der Köchin die Reistöpfe draußen am Hahn. Die Essensreste werden mit dem übrigen Wasser und einem „jhadu“, ein indischer Besen, der aus zusammengebundenen Halmen besteht, weg gekehrt. Die Hühner freuen sich, diese später auf dem Boden zu finden.
Ich dusche mich mit einem Eimer und der Brause, die eigentlich für die Toilettenhygiene gedacht ist. Das Wasser? Kalt, aber man gewöhnt sich daran. Außerdem ist es bei den herrschenden und immer heißer werdenden Temperaturen nur von Vorteil. Immerhin haben wir den Luxus einer europäischen Toilette, mit Option zur indischen. Diese wird aber umgangen und der Raum zum Aufhängen unserer Handtücher benutzt. Ebenso schlafe ich in einem Bett, was in Indien untypisch ist. Sich abends müde ins Bett fallen zu lassen, ist allerdings nicht empfehlenswert, da die Matratze eher einem Brett gleicht. Aber auch daran habe ich mich gewöhnt. Alles eine Frage der Position und des Anpassungswillens.
Die ständige Angst von Läusen befallen zu werden schwingt im Alltag mit. Die kleinen Insekten sind auf den einheimischen Köpfen nichts ungewöhnliches und breiten sich fröhlich aus. Diese „Gefahr“ nehme ich aber liebend gern in kauf, um mit meinen Mädchen zu kuscheln.
Ich habe nach einem Monat eine Art Alltag gefunden, habe mich schon an die ein oder andere Sache gewöhnt, was nicht heißen soll, dass mir bestimmte Sachen oder Verhaltensweisen nicht mehr auffallen. Trotz allem vermisse ich natürlich. Ich habe gelernt, was vermissen heißt.
------------------------------- WAS V E R M I S S E N HEIßT -------------------------------
Ich war nie das Kind, dass viel Heimweh hatte. Woran das lag, weiß ich nicht. Aber auch als ich älter wurde und mehr von zuhause weg war oder meine Eltern länger weg waren, vermisste ich nie auf extreme Weise. Vielleicht war ich daran gewöhnt, da der Großteil meiner Familie in Argentinien lebt und ich mit dem Gefühl aufgewachsen bin, dass sich ein Teil meiner liebsten Menschen am anderen Ende der Welt befindet. Und sich somit alles andere nicht mehr so schlimm anfühlte?
Natürlich vermisse ich. Ich vermisse meine Eltern, meine Familie, meine Freunde!
Ich vermisse Schokolade und Gummibärchen, vermisse es, den Kühlschrank nach etwas absuchen zu können, auf das ich Lust habe. Ich vermisse Oma‘s Küche. Oma und Opa!
Ich vermisse meine Eltern manchmal so sehr, dass es weh tut.
Ich vermisse es, egal wie ich aussehe, raus gehen zu können. Anderseits vermisse ich es, mich durch meinen Schrank zu wühlen und mich mit meinem Stil, meinen Klamotten selbst darstellen und ausdrücken zu können. Ich vermisse es, überhaupt einfach so raus gehen zu können! Ich vermisse es, mein Fahrrad oder das Auto zu nehmen oder einfach so zu Fuß loszugehen. Ich vermisse eine gewohnte Umgebung. Aus der Haustüre zu gehen, wohin auch immer ich möchte. Mich mit jemanden, spontan oder nicht, auf einen Kaffee zu Hause oder im Café zu treffen. Ich vermisse es, Pläne für Verabredungen zu machen, von denen man manchmal weiß, dass sie sowieso nicht aufgehen. Ich vermisse es, mich mit meinen Freunden zu treffen. Ich vermisse meine Freunde. SEHR! Ich vermisse es, mit ihnen zusammen zu sitzen und über alles mögliche zu reden. Ich vermisse es, zusammen mit ihnen auf andere zu treffen, abends mit ihnen weg zu gehen oder einfach in einer größeren Gruppe zusammenzusitzen.
So oft erinnere ich mich an gemeinsame Momente, schaue mir Bilder an und auch wenn ich sehr vermisse, lache ich. Vielleicht unter Tränen, aber diese trocknen schnell.
Ich merke, dass es meist die „kleinen“ Momente sind, die ich vermisse. Die kleinen Dinge, die das große Ganze schaffen, die Familie und Freundschaft ausmachen. Und letztendlich, mein Glück.
- Ich hätte nie gedacht, dass es einmal soweit kommen würde, dass ich aus einer meiner Abiturlektüren zitiere, ABER – In Peter Stamms‘ Roman „Agnes“ wird an einer Stelle das Bild vom Glück so beschrieben: „Glück malt man mit Punkten (…). Du musst, wenn du unser Glück beschreiben willst, ganz viele kleine Punkte machen (…) und dass es Glück war, wird man erst aus der Distanz sehen.“ So entsteht für jeden einzelnen ein eigenes Bild des persönlichen Glücks.
Und so ist es gerade für mich. Ich sehe mein Glück aus der Ferne. Selbstverständlich habe ich es zu Hause auch gesehen. Nur lernt man, wenn man vermisst, all das noch mehr zu schätzen. Das heißt nicht, dass ich hier nicht glücklich bin. Ich bin es, sehr sogar! Und dieses Glück, das mit dieser Erfahrung kam und noch dazu kommen wird, wird Teil des Ganzen Bildes meines Glücks werden.
Ich vermisse, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Aber ich lerne dadurch. Ich lerne zu vermissen – ja auch das muss man irgendwie lernen, finde ich -, ich lerne wertzuschätzen, ich lerne andere Seiten meiner selbst kennen und ich lerne, welche Personen wesentlich für mich sind. Ich lerne, dass jeder einzelne Mensch, der jemals in meinem Leben auftauchte und auftauchen wird - egal für wie lange, einen Moment oder ein Leben lang – etwas ausmacht. Sei es eine gute oder keine gute Erfahrung gewesen, man lernt daraus. Dem bin ich mir jetzt, mehr als zuvor, bewusst.
Vermissen bringt Erinnerungen.
Ich vermisse, bin aber trotzdem glücklich. Ich lerne, dass vermissen etwas schönes hat.
Ich lerne fürs Leben.
😉😁😁😘💞
y yo también te eXtraño hijita mia!!!! pero cuando sé que sos feliz, yo también lo soy!
te amo tanto, tanto!
Mami
Hola Cielo, ich kann dir gut nachfühlen und du kannst dich unendlich glücklich schätzen, dass du in schon so jungen Jahren so viele "Grundgesetze" des Universums begreifst, die viele Menschen wohl ihr ganzes Leben lang nicht begreifen, verstehen und wahrhaben wollen. Du bist gesegnet. Beso grande Nata