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Werd' erwachsen

  • Autorenbild: cielo
    cielo
  • 3. März 2019
  • 5 Min. Lesezeit

Ich habe 57 Schwestern, zwischen 11 und 18 Jahren, mit denen ich im Pilz Home lebe. Ich unterrichte an der Justin School, die weiterführende Schule auf die die Mädchen gehen, Mädchen der sechsten bis neunten Klasse. Ich unterrichte am College 18 bis 26 Jährige Frauen. Ich bin Dienstags im Sister-Convent, wo Mädchen zwischen 17 und 23 zu Nonnen ausgebildet werden.

Ich bin also permanent von Mädchen und jungen Frauen umgeben, Mädchen und Frauen wie überall auf der Welt, wie ich, meine Mama, meine Freundinnen, wie du… in allen „Farben und Formen“, mit unterschiedlichen Charakteren. Wie überall eben.

Doch einen großen Unterschied sehe ich in der Entwicklung dieser Mädchen zur erwachsenen Frau.

Während es in unserer Kultur meist darum geht, möglichst früh sehr erwachsen und reif zu scheinen oder zu sein, kommt es mir so vor, als würde es hier darum gehen, so lange wie möglich noch ein Mädchen zu bleiben.

Wenn ich mir 13 bis 15 Jährige Mädchen in Deutschland ansehe, wenn ich daran zurückdenke, wie ich in diesem Alter war. Der permanente Versuch, älter auszusehen, älter zu wirken. Versuchen sich so zu verhalten, wie es die älteren eben tun. Schminken, um älter auszusehen, „erwachsenes“ Verhalten – also möglichst wenig „spielerisches“ Verhalten (schade eigentlich), von bestimmten Dingen reden, gewisse Erfahrungen machen, die von unserer Gesellschaft zum erwachsen werden dazu gezählt werden. Dazu kommt noch, möglichst früh viel „Freiheit“ in Sachen weg gehen oder länger draußen bleiben, zu erhalten. Mit 16 Wein und Bier trinken, auf Partys gehen, etc. das alles ist unsere Normalität. Wir machen Erfahrungen, besitzen schon relativ früh eine gewisse Selbstständigkeit – mal mehr mal weniger. Aber das „jung-sein“ hat für uns eine ganz andere Bedeutung. Wir freuen uns (bis zu einem gewissen Alter), wenn wir älter geschätzt werden, weil das bedeutet, dass wir wohl älter, reifer aussehen oder uns so verhalten. Manchmal scheint sich die Welt nur darum zu drehen, endlich 16, endlich 18 zu werden oder die Türsteher auszutricksen, weil/wenn man älter aussieht. Eine gewisse Selbstständigkeit erreichen wir vielleicht auch schon früh(er), weil wir die Möglichkeit haben, neben der Schule, arbeiten zu gehen und uns somit auch eigene Dinge leisten zu können. Wir lernen früh mit Geld umzugehen, es wertzuschätzen. Ich denke, dass auch das zu einer gewissen Reife beiträgt.

Wir erleben, wir leben frei und unabhängig. Auch wenn es in den jüngeren Jahren mehr reif und erwachsener Schein als Sein ist, führt dieses Verhalten und das förmliche Streben nach dem älter sein oder wirken wollen dann letztendlich vielleicht nicht doch dazu, dass wir wirklich erwachsener und reifer werden? Natürlich ist das bei jedem unterschiedlich und das ist auch gut so. Und es ist ein Kompliment, wenn man als reif oder erwachsen, für sein alter, eingestuft wird.

Ich spreche davon, dass wir älter sein und wirken wollen, aber wird das nicht auch irgendwie von uns erwartet? Zumindest ab einem gewissen alter? - „Sei nicht Kindisch!“; „Du bist alt genug“; „WERD‘ ERWACHSEN!!!“

Hier in Indien, scheint das anders zu sein. Ich spiele am Wochenende mit meinen Mädchen fangen, nicht nur mit den kleinen, alle machen mit! Alle lernen gerne neue Spiele, Klatschspiele vor allem. Wenn ich in Deutschland einer 16 jährigen „bei Müllers hat‘s gebrannt“ beibringen wollen würde… ich weiß nicht, ob ich überhaupt daran denken würde.

Dieses spielerische, das Kichern beim Thema Jungs – was sicherlich auch kulturelle Sache ist – die Art, wie auf einen zugegangen wird oder die Art, wie Fragen gestellt werden. Allgemein auch die Fragen, die mir gestellt werden. Zwischen 11 und 14 noch tobender, wilder, freier, aber bis hin zum College kann ich dieses Verhalten beobachten. Natürlich gibt es auch hier die „reiferen“ und die „kindlicheren“, aber immer noch in ganz anderer Art und Weise, als in Deutschland (oder in der westlichen Kultur?). Damit ihr euch das besser vorstellen könnt oder überhaupt wisst, wovon ich spreche, hier einige Beispiele:

- Wenn ich am College unterrichte und Schülerinnen dazu aufrufe, etwas zu sagen, wird teilweise den anderen ins Ohr geflüstert, was sie sagen wollen. Der Rest der Klasse kichert sowieso.

- Ich bringe in der Grundschule und 11 bis 18 jährigen Mädchen die gleichen Klatschspiele bei, die ich im Kindergarten gelernt habe (nicht, dass ich das schlimm finde, auch ich habe meinen Spaß dabei).

- Der Klassiker: Es wird kichernd auf mich zugelaufen, der Mund geht auf, es herrscht Stille – ich schaue das/ die Mädchen erwartungsvoll an – der Mund geht wieder zu und sie rennen kichernd wieder weg (Grundschule, weiterführende Schule, College).

Ich finde es in keinster Weise schlimm, wie sie sich verhalten. Zumal es hier einfach so ist, dass ich als „weiße“ etwas ganz besonderes bin und vielleicht auch daher ein gewisses verhalten mir gegenüber entspringt. Ich verstehe diese Mädchen. So lange wie möglich Kind sein, das würde ich in dieser Gesellschaft, in dieser Kultur auch sein wollen. Denn erwachsen werden heißt, verheiratet werden. Diese Leichtigkeit, das quirlig Sein, dieses Gefühl von (charakterlicher) Freiheit so lange wie möglich auszuleben, sich selbst auszuleben, ich glaube darum geht es.


Kein Mensch ist absichtlich so wie er ist. Zumindest von Natur aus. Der Charakter, welcher einen Menschen nun einmal ausmacht, wird von so vielem geprägt. Vor allem aber von dem, was wir erleben und von dem was uns umgibt. Und das kann man sich nicht immer aussuchen. In eine Kultur wird man eingeboren. Mit viel Glück, haben wir eine Familie, die uns selbstverständlich prägt. Mit noch mehr Glück wirkt sich das positiv auf uns aus. Und so entwickeln wir uns.

„Werd‘ erwachsen!“ - diese Aussage hat vielleicht sowohl in der westlichen als auch in der indischen Kultur etwas negatives in sich stecken.

Für uns bedeutet es, dass wir wohl nicht reif genug sind, uns zu kindisch verhalten.

In Indien, würde ich diesen Satz eher mit „du wirst heiraten!“ übersetzen.

Verantwortung, Erwachsenwerden, reif sein hat in jedem Land, in jeder Kultur eine andere Bedeutung. Für mich, bedeutet Verantwortung tragen und erwachsen werden hier in Indien, für seinen Mann und seine Familie da zu sein. Im sinne von bekochen, Haushalt machen, etc.. Unabhängig sein, bedeutet wohl nicht mehr von seiner eigenen, sondern von der Familie des Mannes abhängig zu sein. Vielleicht sogar trotz Ehe, arbeiten zu dürfen.

Erwachsenwerden schenkt einem Mädchen hier nicht mehr Freiheit, sie nimmt sie nur.

Als reif oder erwachsen bezeichnet zu werden, gibt uns ein gutes Gefühl. Es wird zudem hoch anerkannt. In einem gewissen Alter (16 bis Anfang 20?) ist es beinahe schon eine besondere Qualität, die uns manchmal Türen öffnet, weil wir uns mit erfahreneren Menschen leichter und intensiver austauschen und daraus lernen können. Weil davon ausgegangen wird, dass man dann „weiter“ denken kann – ob das wirklich (immer) so ist… ich bezweifle es!

Uns schenkt das Älter- und Erwachsenwerden Freiheit. Das einzige „Laster“ ist die Verantwortung, die man trägt, die immer größer wird. Aber damit lässt sich umgehen.

1 Comment


Adriana Candiago
Adriana Candiago
Mar 06, 2019

y mami te decía, no te apures... tiempo al tiempo! pero a mi me pasaba lo mismo y mi mami me decía lo mismo... y tal vez en el camino perdimos muchas risas y muchos juegos, pero siempre estamos a tiempo de sacar al niño que llevamos dentro y gozar de esa ligera libertad otra vez. Pero la responsabilidad de ser libres es grande y asumir las consecuencias de nuestra libertad nos hace grandes, también de corazón. Se libre, se niña , se adulta, se como siempre... buena!

te quiero!!! Mami

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My name is Cielo. I am volunteering for three months in India and travelling through South America.

 

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